„Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara“ 🎥

Meine Rede zur Aktuellen Stunde der Fraktion „Die Grünen“:


Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

viele von ihnen sind der Türkei verbunden und kennen das Land gut. Mit über drei Millionen türkisch-stämmigen Menschen im Land haben viele Deutsche enge Bande, Bekannte, Freunde und Familie in der Türkei. Ohne einen geschichtlichen Exkurs zu vertiefen: Das kommt auch daher, dass unsere Länder einander schon länger verbunden sind, als es unsere Länder überhaupt gibt!

 

Ich war gerade in der letzten Woche in Ankara und in Istanbul, habe mit Politikern und Wissenschaftlern gesprochen, die deutsch-türkische Universität besucht, für die sich Rita Süssmuth sich seit Jahren stark mach und ich habe Künstler und Unternehmer getroffen und junge Wahlbeobachter. Bei diesen Gesprächen zeigte sich die Moderne, junge Türkei, aber es kam auch Sorge zum Ausdruck über die Gewalt, die Sicherheit und die Demokratie, die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit im Land. Diese Sorge und Kritik teile ich. Denn gerade wenn man auf die letzten 15 Jahre der Türkei blickt, gab es auch viel Licht, es gab Wachstum und Entwicklung, Universitäten und Krankenhäuser sind entstanden, Wohnungen wurden gebaut. Heute ist die Türkei tief gespalten.

 

Vor einigen Wochen erst hat der türkisch-stämmige Genetiker Aziz Sancar, der heute in Amerika lebt und arbeitet, für seine Studien zur DNA-Reparatur den Chemie-Nobelpreis erhalten. Ein wichtiger Preis. Eine große Auszeichnung. Im Internet aber, so hat es auch die NYT beschrieben, wurde ihm nicht gratuliert, sondern über seine kurdische Herkunft diskutiert. Das ist diese Polarisierung der Gesellschaft, diese Spaltung der Türkei, erleben wir derzeit politisch und sie reicht bis tief in die Gesellschaft hinein.

 

Dabei schien es, als sei die Türkei auf einen guten Weg, diese alten Gräben zuzuschütten. Staatspräsident Erdogan selbst hatte einst den Friedensprozess begonnen, davon will er aber heute nichts mehr wissen. Und obwohl er bei der Wahl am 7. Juni die Legitimation verfehlt hat, versucht er weiterhin, die Macht auf sich zu konzentrieren und ein Präsidialsystem zu errichten.

 

Seit Kobane und Suruc, eskaliert auch wieder die Gewalt, zu der auch die PKK mit terroristischen Anschlägen beiträgt. Es brennen Parteibüros der HDP, Menschen werden bedroht, weil sie Kurden sind – auch wenn sie nichts mit den Terroranschlägen zu tun haben, türkische Polizisten und Zivilisten sind bereits gestorben. Wem das nützt, sehr verehrte Damen und Herren, das kann momentan niemand genau beantworten. Sicher ist nur, wem es schadet: Die Familien in der Türkei tragen wieder Trauer und Leid.

 

Der traurige Höhepunkt war der verheerende Anschlag in Ankara. Wir wissen noch nicht, wer diesen Anschlag verübt hat. Ob es die Terroristen von Daesh, Isis, waren. Wir wissen aber, dass es ein Anschlag auf den Frieden und die Demokratie in der Türkei war. Auf Menschen, die kurdischer Abstammung waren, auf Menschen, die für den Friedensprozess auf die Straße gegangen sind. Menschen, die die Mittel der Demokratie gewählt haben, um ihre Meinung kundzutun. Die Sicherheitskräfte, mindestens, die haben versagt.

 

Jetzt bedarf es des Rechtsstaates: Diejenigen, die diese feigen Anschläge begangen haben, müssen jetzt gefunden, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Sie dürfen nicht davon kommen. Der Türkei spreche ich mein aufrichtiges Beileid aus: Türkiye baschin saolsun.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Türkei hat mehr Menschen aufgenommen, über zwei Millionen Flüchtlinge, mehr als jedes andere Land. Wenn wir nun mit der Türkei über die Flüchtlingskrise verhandeln, über die Eindämmung von Fluchtursachen, über gemeinsame Strategien im Syrienkonflikt, müssen wir das mit Respekt und Augenhöhe tun, wir müssen uns aber auch fragen lassen, wer eigentlich die legitimen Ansprechpartner sind. Ich sage das auch in Richtung EU: Präsident Erdogan zumindest sagt die Verfassung eine neutrale Rolle zu.

 

Es ist klar: Wir brauchen den Dialog, wir haben ihn sogar zu oft vernachlässigt, aber die Botschaft dabei dürfen wir nicht vergessen! Diese Botschaft muss bei allen Gesprächen heißen: Es braucht jetzt faire, freie und demokratische Wahlen – In allen Teilen der Türkei. Und Wahlergebnisse müssen akzeptiert und umgesetzt werden. Auch wenn das heißt, dass die Macht geteilt werden muss und es keine Alleinregierung geben sollte. Auch wenn das heißt, dass politische Gegner Teil des Parlamentes sind. Vorher können wir miteinander reden, aber wir sollten keine weitreichenden Entscheidungen treffen – denn unsere Interessen dürfen nicht zu Wahlkampfhilfen werden. An erster Stelle steht die Zukunft der Türkei, die nehmen die Die Türkinnen und Türken am 1. November in die Hand.


Das Video zu meiner Rede könnt ihr euch hier anschauen: