„Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrien nach den Angriffen der Türkei auf syrisch-kurdisches Gebiet“ 🎥

Meine Rede zur Aktuellen Stunde der Fraktion „Die LINKE“:


Sehr geehrter Herr/Frau Präsident-In,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

erst gestern habe ich mit Koordinatoren der humanitären Hilfe in Syrien gesprochen – sie hatten die ganze Nacht nicht geschlafen und waren sichtlich verzweifelt, weil vorgestern wieder 5 Krankenhäuser und 2 Schulen bombardiert und Ärzte und Krankenschwestern getötet wurden. Nach ihrer Auskunft gibt es inzwischen schon zu wenig Menschen im Land, die Hilfe leisten können. Viele von ihnen fürchten selbst um Leib und Leben – und fliehen. Wie dramatisch die humanitäre Lage in Syrien ist, davon zeugt die Verzweiflung dieser beiden Helfer.

Ganz entscheidend ist in dieser Situation, die nicht noch weiter eskalieren darf, dass die unterschiedlichen Akteure nun deeskalierend wirken, anstatt sich auf eigene Faust noch intensiver militärisch am Konflikt zu beteiligen.

Das gilt auch für die Türkei. Es reicht aber nicht, das von europäischer Seite einfach nur zu fordern – es bedarf konstruktiver, lösungsorientierter Zusammenarbeit mit unseren türkischen Nachbarn, statt widersprüchlicher Signale.

Als Außenpolitikerin muss man immer bemüht sein, die Welt aus den unterschiedlichen Brillen zu betrachten:

Aus Sicht der Türkei ist die Politik der EU eben mindestens auch das: Widersprüchlich.

Immer wieder wurde die Türkei von Politikerinnen und Politikern der EU, aber auch aus Deutschland dafür kritisiert, dass die über 900 Km Grenze zu Syrien zu durchlässig für Terroristen seien – die so ihren Weg nach Europa finden.

Selten –  zu selten – wurde erwähnt, dass die offenen Grenzen der Türkei dazu dienten, zweieinhalb Millionen Flüchtlinge ins Land zu lassen – mehr, als die gesamte Europäische Union aufgenommen hat!

Die EU hat 3 Milliarden Hilfe versprochen – davon ist aber noch kein einziger Cent geflossen!

Unterdessen sind in der Türkei seit 2011 zusätzlich mehr als 150 000 Kinder von syrischen Flüchtlingen geboren worden.

Die Türkei hat nun die Grenze geschlossen und wir sehen, wie sich eine neue, eine zusätzliche humanitäre Katastrophe auf syrischer Seite abspielt. Nach den Auseinandersetzungen um Aleppo kommen noch einmal eine halbe Million Menschen in Not. Die Türkei hilft auch hier. Es wurden provisorische Unterkünfte errichtet, auch auf türkischer Seite werden die Anstrengungen nach Aufenthaltsräumen verstärkt. Das ist übrigens nichts Neues, denn auch das geschieht schon länger, doch nun kommt ein neues Ausmaß, eine neue Dimension hinzu. Es ist gut, dass das Auswärtige Amt reagiert hat und mit 500.000 Euro für das THW auch hier Hilfe angeboten hat.

Die Türkei hat ein essentielles sicherheitspolitisches Interesse in Syrien, für das der 90 km lange Korridor garantieren soll – den Ankara nun bombardiert, damit die  YPG, die syrischen Kurden, ihn nicht einnehmen, das ist ein Kerninteresse der Türkei. Vielleicht auch vor dem Hintergrund der Frage: Was passiert, wenn Syrien und Irak zerfallen und die Grenzen des Sykes-Pikot-Abkommen nicht mehr gelten? Sind dann auch die türkischen Grenzen wieder verhandelbar?

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das rechtfertigt diese Bombardements keineswegs. Um es klar zu sagen: Ich finde sie auch nicht richtig. Denn es wird weder militärisch erfolgreich sein, der YPG aus der Luft den Weg abzuschneiden, noch wird es zu einer Deeskalation führen, die wir so dringend brauchen. Vielmehr kann es den Konflikt mit Russland weiter befeuern.

Aber derzeit werden die Verhältnisse am Boden nochmals komplizierter: Die moderate Opposition ist geschwächt und zerfasert, anstatt sich geschlossen gegen Assad und den IS zur Wehr zu setzen.

Kein Akteur sollte in einer so verworrenen Lage seine Eigeninteressen vorne anstellen, sondern an einem gemeinsamen politischen Prozess konstruktiv mitarbeiten. Die Entgrenzung der Mittel dürfen wir nicht hinnehmen.

Deswegen sind wir mit der deutschen Bundesregierung, mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem richtigen Weg. Die Beschlüsse aus München müssen jetzt umgesetzt werden. Die Menschen in den Städten und Dörfern brauchen Hilfe, Medizin, Nahrung, Schutz.

Einen Punkt aus meinem gestrigen Gespräch mit den beiden syrischen Helfern möchte ich in dieses hohe Haus tragen: Die junge Generation, die noch in Syrien ist, radikalisiert sich mehr und mehr, weil sie die Hilflosigkeit spürt und immer öfter vor der Alternative steht: Assad oder Islamischer Staat.

Ich frage mich: Was geschieht mit dieser Generation, die zwischen den Fronten zerrieben wird, die keine Sicherheit, keine Arbeit und keine Perspektive hat? Was passiert, wenn dies noch weitere Jahre so bleibt?

Wir müssen helfen, diese Entwicklung umzukehren. Wir müssen helfen, Frieden zu schaffen. Dazu müssen als erstes die Waffen schweigen.

Vielen Dank.


Das Video zu meiner rede könnt ihr euch hier anschauen: