„Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei“ 🎥

Meine Rede zur Aktuelle Stunde der Fraktion „Die Grünen“:


Sehr geehrter Herr/Frau Präsident/in

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Pressefreiheit das „Brot der Demokratie“ ist, wie es der Journalist Heribert Prantl einmal formulierte, dann sieht die Welt ganz schön mager aus!

In der Mehrzahl der Länder wird es gefährlicher, seine Meinung in Wort und Schrift frei zu äußern, Kritik zu üben. Für Journalisten, Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller. Das ist kein gutes Zeichen für den Zustand der Welt. Ungefährdet ist Demokratie nie.

Das gilt leider auch für die Türkei. Wir beobachten mit Sorge die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Diese Sorge ist ganz konkret.

Zahlreiche Beispiele und Berichte aus Gesprächen und Begegnungen haben wir hier im Laufe der Debatte gehört: Über Beschlagnahmungen von Zeitungstiteln oder Verlagen, Sperrungen von Internetseiten, Verhaftungen von Wissenschaftlern, Interventionen und Einreiseverbote. Mittlerweile trifft es auch unsere deutschen Diplomaten und Journalisten. Das alles macht die aktuelle intensive Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsproblematik nicht einfacher. Im Gegenteil: Die Reaktionen des türkischen Staatspräsidenten erschweren sie.

Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, das sind keine deutschen Werte, keine türkischen Werte. Es sind gewachsene, internationale, universelle Werte. Wir müssen sie immer neu einfordern, schützen und pflegen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass dies auch unsere Orientierung in der internationalen Politik sein muss, die wir nicht verlieren dürfen.

Und mancher muss hier, auch in unserem Land, mit Verlaub, dabei noch etwas nachjustieren.

Die EU könnte ein Monitoring mit dem UNHCR für die Einhaltung der Menschenrechte bei der Flüchtlings-Zusammenarbeit einsetzten. DAS wäre eine Initiative, die zeigt, dass unsere Werte nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Alltag bestehen. Auch die Öffnung der Kapitel über Menschenrechte und Justiz wäre ein Hebel, mit dem sich die Belastbarkeit der Beziehungen prüfen ließe.

Lassen Sie mich aber auch erwähnen: Das, was in der Türkei und auch bei vielen Deutsch-Türken von der Diskussion ankommt, sind oft nur noch wenige, zugespitzte, Worte. Das sollten wir wissen, wenn wir uns wundern, warum ein großer Teil der Türken gekränkt auf Kritik reagiert. Viele Türkinnen und Türken sind verletzt, ob der teilweise auch ausfälligen Bemerkungen. Vielfach wird sie nicht als Kritik am Staatspräsidenten und seiner Führung verstanden, sondern an allen Türken. Und an vielen Stellen im Internet ist sie eben auch keine Satire, keine Kunst, sondern Hetze. Auch von rechts. Dafür, in der Tat, gibt es Gerichte. Weil Demokratie Verantwortung braucht, weil Freiheit Grenzen hat, weil der Staat seine Bürger schützen muss.

Gerichte sind aber NICHT dazu da, um sie politischer Einmischung zu unterziehen. Oder sie zu instrumentalisieren. In der Demokratie gilt der Satz von Voltaire: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“

Besonders für die Freunde der Türkei ist die aktuelle Entwicklung niederschmetternd, denn die deutsch-türkischen Beziehungen sind für viele mehr als ein Politikfeld, als eine Herzensangelegenheit.

Sehr verehrte Damen und Herren, wir fangen nicht bei Null an. Augenhöhe und Respekt und eine gemeinsame Geschichte helfen, selbst schwierigste Themen unter Parlamentariern anzusprechen. Das ist möglich und es ist Realität. Das erwarte ich mir auch von der Spitze der Bundesregierung. Klare Haltung!

Es war ein weiterer Autor der SZ, Gustav Seibt, der dieser Tage „die vergessene Liebe zwischen Deutschen und Türken“ beschrieben hat. Die außenpolitische Geschichte von Metternich, Bismarck und Moltke, die Geschichte der Gastarbeiter, bis zu den Fehlern der EU in der jüngeren Vergangenheit, und den gewachsenen deutsch-türkischen Mittelstand heute – aber vor allem auch die Türkei, die 1933 zum Exil für Künstler und Wissenschaftler wurde.

Sie sind es, die uns heute mahnen und warnen. Die unsere Gesellschaft zu dem machen, was wir sind. Wir sollten ihre Stimmen hören. Mehr noch, Ihnen müssen wir als Politiker die Räume der Artikulation offen halten. Mit einer Außenpolitik der Zivilgesellschaft. Denn es gibt keinen Automatismus in der Geschichte. Wir bestimmen sie selbst.

Dazu, zum Schluss, Gustav Seibt:

„Es gibt also – jenseits von NSU, Sarrazin-Debatte, Böhmermann und Erdoğan – eine deutsch-türkische Geschichte von säkularem Ausmaß und eine zivilgesellschaftlich-kulturelle Realität, deren Vielschichtigkeit und schiere Interessantheit oft nicht gegenwärtig sind. Diese Lieblosigkeit ist kaum zu begreifen, denn sie schwächt die Gesellschaft insgesamt.“

Auch Staatspräsident Erdogan wird einmal an dieser Geschichte gemessen werden.


Das Video zu meiner Rede könnt ihr euch hier anschauen: