Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Wolfgang Gründinger,
Bürgerinnen und Bürger fragen mich oft, wie ist das eigentlich im Bundestag mit den Lobbyisten, mit denen darf man doch nicht reden. Ich antworte: es gibt ja nicht nur Krauss-Maffei, sondern auch die Greenpeace auf dieser Welt. Ich könnte auch sagen, es gibt auch Wolfgang Gründinger.
Denn Wolfgang Gründinger ist im besten Sinne ein Zukunftslobbyist. Er engagiert sich für soziale Gerechtigkeit, für die Themen unserer Zeit, auch, wenn er von der falschen Grundannahme ausgeht. Aber dazu gleich mehr.
Zunächst eine Anekdote zu einem Teil des Buches, in dem ich mich ganz persönlich wieder gefunden habe.
Auf Seite 106 beschreibt Wolfgang Gründinger, wie er zur SPD gefunden hat: „Ein Klassenkamerad sagte die Sch** SPD hat die Steuerschlupflöcher gestopft. Jetzt muss mein Vater noch ein Haus kaufen um Steuern zu sparen.“
Wolfgang Gründinger konnte nicht ein Jahr ins Ausland, in die USA reisen, wie seine Mitschüler. „Wir haben doch keinen Dukatenscheißer daheim“, sagte seine Mutter. Diese Sätze habe ich in meiner Jugend auch gehört.
Bei mir war es eine Podiumsdiskussion 1998, die mich bekräftigte, mich in der SPD zu engagieren.
Als Schüler-Initiativkreis hatten wir die Kandidaten zur Bundestagswahl eingeladen.
Damals forderte die CDU Kandidatin Studiengebühren, um das Bildungswesen zu finanzieren. Ich dachte: 1. Wie ungerecht ist das denn! Wie soll ich mir das leisten können? 2. Wie kann man eigentlich so blöd sein, als Politikerin sowas einer Abitur-Klasse, noch als politische kluge Idee zu verkaufen?
Nun aber lieber Wolfgang zu den Inhalten. Nicht bei jeder Schlussfolgerung bin ich mit dir einer Meinung. Aber dir gelingt ein überzeugender Rundumschlag über die Herausforderungen unserer Zeit – unterlegt mit Fakten- und Datenmaterial.
Ein Buch, das ich sicher auch in meiner politischen Arbeit noch das eine oder andere Mal aufschlagen werde.
Das sollten noch mehr Politiker tun, denn es kommt es darauf an, die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in unsere Zeit zu übersetzen. Und darauf, auf die richtigen Themen zu setzen. Themen, wie Digitalisierung der Wirtschaft, selbstfahrende Autos, Freihandel, Menschenrechte aber auch nachhaltige zukunftsfeste soziale Sicherungssysteme, das sind solche Themen, die das Lebensgefühl nicht nur meiner Generation wieder spiegeln. (Mein Lieblingssatz steht übrigens im Kapitel zur Forschungspolitik: Wer in Deutschland Visionen hat der geht zum Arzt, oder ins Ausland.)
Und auch in einem weiteren Punkt hat Wolfgang Gründinger recht: Politik braucht den Blick über den Tellerrand. Sie darf sich nicht an Legislaturperioden klammern, sondern sie braucht eine klare Vorstellung von der Zukunft, um sie zu gestalten. In einem Punkt hält das Buch meiner Meinung nach dieser Anforderung nicht stand, denn das Hauptproblem heißt nicht „die Alten gegen die Jungen“.
Sondern die Bruchlinien der Gesellschaft verlaufen anders. Sie verlaufen zwischen Arm und Reich, zwischen Mann und Frau, zwischen Bio Deutsch und Migrationshintergrund. Vor einigen Wochen hat die New York Times einen Artikel in Bildern publiziert. Darauf zusehen die Gesichter der amerikanischen Macht.
Das Ergebnis von 500 der mächtigsten Führungspersönlichkeiten in den gesamten USA, in Kultur, Politik, Bildung und Wirtschaft gehörten nur 44 einer Minderheit an. Da wo Frauen mitspielen dürfen, sind sie ebenfalls weiß. Das Alter ist also nur ein Faktor in einem größeren Zusammenhang der Machtverteilung, aber bei weitem nicht der entscheidendste.
Aber was würde passieren, wenn wir Jungen die Alten einfach absägen? Der Hirnforscher Michael Hüther erzählte in einem seiner Vorträge eine Geschichte von einer Elefantenherde, die rasant gewachsen war. Es waren zu viele Tiere. Die Menschen entschieden sich dafür, die Alten zu töten.
Was geschah?
Die jungen Elefanten rannten durch die Dörfer und trampelten alles platt. Eine Gesellschaft ist nicht deswegen klüger oder dümmer, weil sie jung oder weil sie alt ist. Politiker übrigens auch nicht. Es war Kristina Schröder, die jüngste Familienministerin Zeiten die die Herdprämie, das Betreuungsgeld einführte.
Ein Anachronismus gesellschaftlicher Natur – in die Politik übertragen von einer jungen Politikerinnen.
Aber richtig ist, der Aufstieg durch Bildung ist schwerer geworden. Es fehlen Sprossen in der Leiter. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist nicht überall im Land gegeben. Besonders unser Bildungssystem muss besser werden. Es macht nicht nur einen Unterschied, ob ich in Burkina Faso oder in New York geboren werde, sondern auch ob ich in München Schwabing oder in Wanne Eike zur Schule gehe. Nach vielen Jahren als Sprecherin für Schulpolitik im Stadtrat kann ich ein Lied davon singen, wie wir manchmal nicht einmal die Schulklos reparieren können, weil kein Geld da ist. Von Whiteboards mit WLAN ist das ein ganzes Stück entfernt.
Soziale Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Wachstum, Wohlstand, der Zustand einer Gesellschaft entscheiden sich daran wie Inklusiv das System eines Landes wirkt.
Schaffen wir Teilhabe, Partizipation an demokratischen Prozessen oder nicht? Schaffen wir Teilhabe für alle Menschen?
Verehrte Damen und Herren, die gute Nachricht ist: Wir können was bewegen.
15 Jahre nach der Diskussion in meiner Schule habe ich gegen die damalige CDU-Abgeordnete kandidiert und gewonnen.
Die deutsche Demokratie ist stark. Aber: Demokratie muss man sich holen! Wolfgang Gründinger liefert dafür Gründe genug.
Lieber Wolfgang, eine Frage noch zum Schluss. Wie viele Bücher willst du eigentlich noch aus Sicht der jungen Generation schreiben? Oder wann ist es Zeit, sich auf die andere Seite zu schlagen?
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!