Sehr geehrter Herr/Frau Präsident/in
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Wenn es morgens früh an der Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.“ Dieses Zitat von Churchill las ich in der Kolumne des türkischen Journalisten Can Dündar, der entsetzt über die Verhaftungen der türkischen Oppositionellen berichtete.
Am Abend zuvor war ich spät bin ich von einer Reise aus Ankara Nachhause gekommen, habe den Schlüssel in der Haustür herumgedreht, das Licht angeschaltet – und plötzlich, da nachts im Flur, wusste ich, was Churchill damit gemeint haben muss! „Mich verhaftet heute Nacht garantiert niemand.“
Denn, Sie müssen sich vorstellen, wir wollten uns mit Abgeordneten des Bundestages am Morgen mit Frau Yüksekdar treffen, der stellvertretenden HDP-Vorsitzenden. Aber sie war in der Nacht verhaftet worden. Es herrscht ein Ausnahmezustand in der Türkei, sie wird vermutlich nicht so bald freikommen. Selahattin Demirtas, der Vorsitzende, ist weit weg gebracht worden, in ein Gefängnis an die Bulgarische Grenze. Die Berichte von Menschenrechts-Organisationen sind erschreckend.
Wir haben uns nicht davon abhalten lassen, dennoch Gespräche mit der Opposition zu führen. Und wir haben auch offiziell die Zeitung Cumhyrriet besucht. Selbstverständlich haben wir auch die Vertreter der Regierung noch am selben Tag mit den Vorgängen konfrontiert.
Die türkische Seite begründet all die Maßnahmen, die wir erlebt haben, die wir sehen und über die heute hier gesprochen wird damit, den Terrorismus zu bekämpfen und den Putschversuch aufklären zu wollen. Uns wird vorgeworfen, das alles nicht verstehen zu können.
Ich will nicht verschweigen, ich kann es tatsächlich kaum begreifen, wie das Militär eines Landes sein eigenes Parlament bombardieren kann. Ich habe die Einschüsse dort gesehen, die Trümmer, die in den deutschen Medien nicht zu sehen waren. Und ich bin mir traurig bewusst, wie die Türkei immer wieder Opfer von terroristischen Anschlägen – ob durch den IS oder durch die PKK – geworden ist. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass wir hier im Hause jeden Terror auf das Schärfste verurteilen.
Mehr noch: Wir kämpfen sogar in gemeinsamer, ja, auch in schwieriger Allianz, gegen den Islamischen Staat! Denn die Türkei und Deutschland waren und sind Verbündete! In der NATO – die Türkei ist EU-Beitrittskandidat!
Kolleginnen und Kollegen, wir verstehen aber hier in Deutschland sehr genau, was es heißt, wenn Demokratie und Meinungsfreiheit eingeschränkt, wenn Oppositionelle verfolgt und Kritiker mundtot gemacht werden. Denn: Wir als Deutsche haben eben unsere ganz eigenen, leidvollen Erfahrungen gemacht. „Ungefährdet ist Demokratie nie“:
Das hat sich mein, in unser Bewusstsein als Parlamentarier, tief eingebrannt.
Die Türkei ist nicht Deutschland. Und Deutschland nicht die Türkei.
Schweigen oder aber wegschauen können wir nicht. Wir dürfen es nicht! Unrecht muss Unrecht genannt werden.
Das Vorgehen der türkischen Regierung hat mit Demokratie und Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Wenn 130.000 Staatsbedienstete aus dem Amt entlassen werden, Zeitungen und Medienhäuser geschlossen, und Parlamentarier verhaftet, dann delegitimiert das den Kampf gegen den Terror mehr, als es ihm nützt.
Die Türkei scheint sich mehr und mehr abzuwenden von ihrer Orientierung gen Westen ebenso wie von ihrem Kurs der Modernen Zivilisation, eine Entwicklung, die von dem nicht unumstrittenen Staatsgründer Mustafa Kemal einst begründet wurde, an den heute in er ganzen Türkei im Rahmen des Gedenktages erinnert wird.
Auch mit Blick auf die jahrhundertealte Geschichte, mit all ihren Höhen und Tiefen, ist dies eine Entwicklung, die mich als Vorsitzende der Freundschaftsgruppe hier im Bundestag und als Sozialdemokratin zutiefst betrübt. Weil ich weiß, wie viele Menschen in beiden Ländern viel Herzblut in das Deutsch-Türkische Verhältnis investieren. Zu Recht!
Es gäbe so wichtige gemeinsame Aufgaben in dieser Welt zu meistern. Die nächste Generation, viele junge Menschen, die beide Sprachen sprechen, beide Kulturen kennen – sie hätten das Zeug dazu!
Eine Tür aber, kann man immer von zwei Seiten zu machen!
Die veränderte Politik der Türkei und die Veränderung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan selbst, sie zieht diese Tür nach Europa nun zu.
Wir werden weiter kooperieren. Nachbarn bleiben wir auch weiterhin.
Aber es wird sich etwas ändern zwischen unseren Ländern.
Denn durch geschlossene Türen, kann man einander noch weniger hören, und noch weniger verstehen.
„Dost atschee Söler.“ Nur gute Freunde sagen sich bittere Wahrheiten.
Meine Hoffnung sind die Menschen, eine starke Zivilgesellschaft, eine junge Generation. Sie müssen wir unterstützen. Dabei, aufeinander zuzugehen und Frieden zu schaffen. Ich bin froh, dass wir einen Außenminister haben, der heute deutlich gemacht hat, dass wir uns dieser Verantwortung stellen.
Das Video zu meiner Rede könnt ihr euch hier anschauen: