„Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ 🎥

Frau Präsidentin/Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

werte Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag,

 

eine Bemerkung vorab. Ich bin gerade etwas mehr als 100 Tage hier und das ist meine erste Rede an diesem Pult.

Ich hab mich im Plenarsaal umgesehen und festgestellt: In diesen kleinen Schubladen vor Ihnen, kann man nicht nur gut Bonbonpapiere verschwinden lassen.

Sondern in jeder dieser Schubladen findet sich das vielleicht stärkste Stück deutscher Demokratie!

 

Darin liegt ein Buch, so groß wie eine Postkarte:

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Das Stück Papier, das nichts von seiner Kraft und seiner Stärke eingebüßt hat, seit dem Tag, an dem es von unseren Müttern und Vätern verabschiedet wurde.

Oder, ich müsste wohl eher sagen, von unseren Großmüttern und Großvätern.

 

Dieses Grundgesetz zu beschützen, ihm Leben zu geben, dazu haben wir uns gemeinsam, über alle Generationen hinweg, verpflichtet.

Um nichts weniger geht es auch in dieser Debatte heute hier: „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter!“

 

Und, verehrte Kolleginnen und Kollegen, „Ungefährdet ist Demokratie nie“, – so formulierte es Heinz Westphal, hier ehemals Bundestagsvizepräsident und Abgeordneter meiner Heimatstadt Herne.

Er sprach aus den Erfahrungen einer anderen Zeit.

Eine Zeit fernab der Demokratie, die auch meiner Generation ewig Mahnung bleiben muss.

 

Heute ist Demokratie in Deutschland – mit allen Abstrichen –ein gelungener Teil unseres Zusammenlebens.

Ungefährdet jedoch ist sie auch nicht in einer veränderten, einer digitalisierten Welt. Das gilt insbesondere mit Blick auf Möglichkeiten der Überwachung, Aufzeichnung, der Speicherung und Analyse durch die von Menschen eingesetzten Maschinen. Das hat uns Edward Snowden schmerzvoll vor Augen geführt.

 

Dass zahlreiche Schriftsteller und Intellektuelle im Land aufschreien „Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr“ – das muss uns endlich zum Handeln bewegen!

 

Aufklärung muss der erste Schritt sein.

Für diese Aufklärung allerdings gilt der Satz einer deutschen Schriftstellerin, die diesen Antrag nicht mehr unterzeichnen konnte, Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“

Als Parlamentarier brauchen wir den Mut, den Menschen nichts vorzumachen – und uns selbst auch nicht.

 

Meine Generation ist mitten in die digitale Revolution hinein geboren.

Die Schallplattensammlung tragen wir täglich im Handy mit uns herum.

Wir zoomen Bildschirme per Fingerzeig und fragen nicht mehr nach dem Weg, sondern programmieren unser Navigationssystem – und wenn wir Fragen stellen, antworten oft Wikipedia, oder Siri. (Die digitale Gesprächspartnerin aus dem im IPhone.)

 

Aber Digitalisierung ist viel mehr. Sie verändert wirtschaftliche Zusammenhänge, eröffnet neue Geschäftsmodelle und wirkt sich auf das staatliche Handeln aus.

Und sie reicht tief in die Privatheit des Einzelnen.

 

Wir sind in der Verantwortung dafür, ob wir unser Wissen für ein selbstbestimmtes Leben und für den Fortschritt nutzen. Ob wir die Chancen erkennen und die Risiken in den Griff kriegen. Das betrifft nicht nur die Wissensgewinnung qua Wikipedia.

Unsere Aufgabe ist es, wieder eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden.

Das geht, das kann man hinkriegen.

 

Denn es ist offensichtlich: Der Missbrauch durch Geheimdienste, Unternehmen und staatliche Institutionen hat zu Vertrauensverlust geführt. Zu Zweifeln. Und wenn ich schon von Generationen spreche: Nicht nur meine Generation erleidet in den letzten Jahren einen tiefen Vertrauensverlust in demokratische Prozesse, in rechtsstaatliches Handeln und in das Primat der Politik.

 

Doch GERADE für die jungen Menschen im Land ist die tiefe Bindung zwischen Deutschland und USA längst nicht mehr selbst erlebt und auch nicht mehr selbstverständlich!

Weil aber Amerika nicht nur in der Beziehung zu Deutschland ein besonderes Land ist, muss man es ansprechen: Es gibt sie noch, die Hoffnung auf die Zukunft der Demokratie!

Das hat sich zu Obamas erster Amtszeit auch hier in Berlin deutlich gezeigt. Deswegen ist es fatal, wenn diese Hoffnung Risse bekommt.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat an dieser Stelle ein Völkerrecht für das Internet gefordert. Und ich will noch einen Schritt weiter gehen.

Es braucht multilaterale Verabredungen darüber, wie man miteinander umgeht. Und darüber, was man NICHT tut!

Diesen Anspruch dürfen wir auch dann nicht verlieren, wenn kein No-Spy-Abkommen zwischen den USA und Deutschland zustande kommt.

 

Eine Cyber-Rechts-Konvention etwa, müsste von Deutschland aus in der Welt vorangetrieben werden. Und sie könnte von anderen Ländern – nicht nur in Europa – unterstützt und ratifiziert werden. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Parlamentarier müssen wir darauf achten, dass sich in einer digitalisierten Welt ein Ideal NICHT durchsetzt: Je berechenbarer, desto gesünder, effizienter, funktionsfähiger der Mensch.

 

Denn das können die Groß-Mütter und Groß-Väter des Grundgesetzes nicht gemeint haben mit Art 1. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“!

Das Grundgesetz verbietet es, den Menschen zum Informationsobjekt zu machen.

 

Wir müssen Gesetze machen, die unserem Grundgesetz entsprechen. Angesichts zahlreicher Korrekturen aus Karlsruhe muss man das leider so deutlich sagen.

Die Herausforderungen stammen aus der analogen Welt, aber sie sind geblieben.

Es gilt, sie zu übertragen.

 

Wir müssen darüber entscheiden:

  • Wie ein digitaler Markt auch ein demokratiekonformer Markt sein kann.
  • Wie der Staat die Rechte der Bürger auch im weltweiten Netz gewährleistet.
  • Wie Eingriffe in die Privatsphäre national und international geahndet werden.
  • Und: Ob es gelingt, die Demokratie in der digitalisierten Welt nicht bloß zu verteidigen, sondern sie durch Mitbestimmung, Aufklärung und Bildung für eine neue, digital mündige Generation zu stärken.

 

Deswegen noch ein paar Worte zu den Forderungen der Bündnis-Grünen.

Ja:

  • Wir müssen Menschen schützen, die ihr Leben einsetzen, um die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren. (Whistleblowerschutz)
  • Diejenigen, die Grundrechte verletzen, müssen sich erklären und verantworten.
  • Ein Parlament, das Grundrechte schützen soll, muss auch über Risiken informiert sein.

Hier gilt es aber auch unseren selbstgewählten Vertretern im Parlamentarischen Kontrollgremium zu vertrauen!

  • Und zur Vorratsdatenspeicherung kann man Minister Maaß nur unterstützen, die Entscheidung des EUGH jetzt abzuwarten.

 

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Sie erwecken hier den Eindruck, als würden wir nichts tun.

Doch wir haben einen ersten Schritt gemacht. Wir haben einen NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt.  Und einen zweiten Schritt mit dem Einsetzen des Ausschusses Digitale Agenda.

Einen Dritten machen wir mit der Überführung der Stiftung Datenschutz in die Stiftung Warentest.

Einen vierten, indem wir Datenschutz und Bürgerrechte mit einem Marktwächter „Digitale Welt“ stärken.

 

Deswegen sage ich Ihnen auch, wo in Ihrem Antrag Verbesserungsbedarf besteht. Auf dem verbraucherpolitischen Auge nämlich, ist er blind.

Der Bürger als Verbraucher wird in diesem Antrag kein einziges Mal erwähnt.

 

Es sind aber die Verbraucher, die Bücher, Filme und Reisen im Internet kaufen, die über das Netz private Beziehungen pflegen und ihrem Computer sensible Daten anvertrauen.

Sie erwarten von uns, dass sie moderne Techniken nutzen können, ohne dass sie Schwierigkeiten bekommen und Ihre Grundrechte verletzt werden. Ihnen müssen wir Sicherheit geben. Sie müssen wir vor Missbrauch schützen.

 

Deswegen muss es zukünftig auch eine gesetzliche Regelung dazu geben, dass Unternehmen, die etwa im Scoringverfahren mit Daten handeln, verpflichtet werden, einer Behörde gegenüber anzuzeigen, welche Daten sie verwenden. HIER ist der Gesetzgeber gefordert.

 

Klagen und Anklagen wird Vertrauen nicht wieder herstellen!

Verbraucherbildung, Verbraucherinformation und Verbraucheraufklärung kommen bei Ihnen jedoch überhaupt nicht vor!

 

Techniken zum Schutz der Privatsphäre zu fördern, kann ein richtiger Ansatz sein – ganz sicher werden der verstärkte EINSATZ von Verschlüsselungstechniken, hohe Datenschutzstandards und eine Technikfolgeabschätzung von Infrastrukturen wichtiger.

Klare Regeln braucht es allenfalls: Der Missbrauch von persönlichen Daten muss ebenso bestraft werden, wie eine Tonne mit Chemikalien in den Wald zu schmeißen!

 

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,

es gibt viel zu tun im digitalen Zeitalter, auch wenn wir dem Antrag der Bündnis-Grünen heute so nicht zustimmen. Wir werden aber im Ausschuss noch im Detail darüber sprechen, mit welchen Mitteln wir unsere Demokratie im digitalen Zeitalter verteidigen. Einen ersten Aufschlag hat die GroKo gemacht.

 

Ich freue mich, dass ich dabei mithelfen darf, bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem traditionell analogen Gruß aus meiner Heimat.

 

Dem Bergmannsgruß:

Glückauf!


Das Video zu meiner Rede könnt ihr euch hier anschauen: