Meine Rede im Deutschen Bundestag am 14.12.2016
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach den Anschlägen im Istanbuler Stadtteil Besiktas hingen die Flaggen vor dem Rathaus in meiner Heimatstadt Herne, im Ruhrgebiet, auf Halbmast.
Besiktas und Herne sind Partnerstädte. Die Städtepartnerschaft wurde erst im Sommer dieses Jahres beschlossen, wenige Wochen vor dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei.
In dieser Woche war eine Delegation des türkischen Ordnungsamtes in Herne, sie sind jetzt noch dort. In Besiktas arbeiten sie mit der Polizei zusammen, auch während der Fußballspiele des türkischen Meisters.
Wären sie nicht nach Herne gekommen, sie wären vielleicht heute tod, ganz sicher wären sie mitten in die Terror-Anschläge geraten.
Sie sind es nicht. Andere mussten an diesem Tag ihr Leben lassen, viele Polizisten darunter, auch Bekannte unserer Delegationsmitglieder.
In unserer Stadt waren viele geschockt über diese Grausamkeit, besonders diejenigen, die die Orte kannten, die Straßen und Plätze, an denen die Anschläge stattfanden.
Es besteht keinerlei Zweifel an unserer Haltung: Terror ist durch nichts zu rechtfertigen!
Ob es die TAK, die PKK, oder andere Extremisten sind: sie werden sich verantworten müssen!
Und: Sie müssen von einem Rechtsstaat verurteilt werden.
Aber wie soll das gehen?
Von einem Rechtsstaat hat sich die Türkei leider immer weiter entfernt. Die Gewalt hat wieder zugenommen. Die Sicherheitslage hat sich verschärft.
Das war nicht immer so.
In der Anfangszeit der Regierung Erdogan wurden Reformen durchgesetzt, auch für die kurdische Bevölkerung, es wurden Friedensgespräche geführt. Das liegt alles längst in Scherben.
Auch die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei verschlechtert sich, das Vertrauen von Unternehmen und Staaten in die Türkei sinkt. Das liegt auch an ihrer Abwendung von der EU und an dem autokratischen Kurs der Regierung, am Demokratieabbau.
Die türkische Opposition, auch die prokurdische HDP, hat die Terroranschläge klar verurteilt. Der Staatspräsident reagiert nun, indem er wieder viele ihrer Mitglieder verhaftet.
Die Verhältnismäßigkeit ist längst außer Kraft. Der Kurdenkonflikt kann aber nur mit Verhandlungen beigelegt werden, nicht mit Gewalt.
Die Türkei wird entscheiden müssen, wie sie sich weiter entwickeln will. Wir sind gut beraten, es hier an klarer Haltung nicht vermissen zu lassen und den Weg freizuhalten für eine Entwicklung in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
Die Abstimmung über die Todesstrafe wird auch eine Abstimmung über die Beziehungen zur EU. Das weiß die Türkei sehr genau. Drohungen beeindrucken uns nicht. Im Gegenteil.
Wir schauen nicht weg: Auch wenn unsere Handlungsspielräume begrenzt sind. Das haben wir in diesem Parlament auch mit der Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ deutlich gemacht. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen für dieses starke Zeichen der Solidarität.
Deutschland hat ein Interesse an einer stabilen Türkei, samt ihrer territorialen Integrität. Sie ist das Tor zum Nahen und Mittleren Osten, direkter Nachbar Syriens. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich hier ein weiterer unüberbrückbarer Konflikt zuspitzt.
Terrorismus führt nicht an den Verhandlungstisch – gespaltene Gesellschaften jedoch begünstigen Gewalt, Extremismus und am Ende eben auch den Terrorismus.
Erlauben Sie mir hier noch eine generelle Einlassung: Was wir an vielen Stellen der Welt feststellen ist, dass religiös überformte Konflikte zunehmen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor wenigen Monaten einen Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt, in dem auch auf die Verfolgung von Christen eingegangen wird – ein wichtiger Schritt, um diese gewachsene Dimension deutlich zu machen.
Denn auch Religionsgemeinschaften haben eine Verantwortung. Staaten müssen sicherstellen, die Religionsfreiheit nicht nur auf dem Papier zu garantieren, sie müssen Minderheiten aktiv schützen.
Auch für unsere Außenpolitik muss das Folgen haben. Es wäre gut, wenn das AA weiter darüber nachdenkt, wie wir mit dieser dauernden Verletzung von Menschenrechten umgehen und wie wir die Staaten, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, unterstützen.
Liebe Kollegen,
der Bürgermeister von Besiktas, der der CHP angehört, schrieb am Morgen nach den Terroranschlägen: „Es fällt mir schwer, Guten Morgen zu sagen.“ Als Verantwortliche Politiker mögen wir es uns gar nicht vorstellen, was es heißt, nach solchen Ereignissen wieder auf die Marktplätze zu gehen, um den Menschen Mut zuzusprechen.
Wir, Kolleginnen und Kollegen, wären aber alle nicht hier versammelt, wenn wir nicht überzeugt wären: Wir können etwas bewegen, wir müssen etwas besser machen. Und wir dürfen uns von Terror nicht einschüchtern lassen.
Um all der Menschen willen, die Angst haben, sich sorgen, und derer, die sich auf die Kraft der Demokratie verlassen.
Herzlichen Dank
Das Video zu meiner Rede könnt ihr euch hier anschauen: