In der Corona-Krise ist die Wissenschaftsfreiheit kostbarer denn je

Der gemeinsame Beitrag zur „Wissenschaftsfreiheit“ von Joybrato Mukherjee (Präsident-DAAD), Hans-Christian Pape (Präsident-AvH) und mir in der Frankfurter Rundschau:


Um die Corona-Pandemie zu überstehen braucht es Wissenschaft ohne nationale Grenzen. Deutschland muss beim Schutz ihrer Freiheit ein Vorbild sein.

Menschen in aller Welt schauen heute mit Angst und Sorge auf die Ausbreitung des Coronavirus. Kein Zweifel: Die Corona-Krise ist ein tiefer Einschnitt für unsere Gesellschaften. Es geht um die Zukunft der Weltwirtschaft, um das Leben von Millionen von Menschen, um die grundlegenden Menschenrechte. Kurz: um ein Leben in Sicherheit und Freiheit.

Große Hoffnungen richten sich nun insbesondere auf die Wissenschaft. Die Pressekonferenzen des Robert-Koch-Instituts und die Empfehlungen von Virologen und Epidemiologen sind zu einem festen Bestandteil unseres Alltags geworden. Wissenschaft und Forschung arbeiten auf Hochtouren, um die richtigen Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln, die viele Menschenleben retten könnten.

Corona-Pandemie: Aufgabe für eine Wissenschaft ohne Grenzen

Das ist eine Herkulesaufgabe, die kein Wissenschaftler, keine Wissenschaftlerin und kein Staat allein stemmen kann. Eine grenzenlose Herausforderung wie diese Pandemie können wir nur meistern, wenn Wissenschaft und Forschung nicht in nationalen Grenzen verhaftet bleiben.

Wissenschaft lebt vom Wettbewerb, sie arbeitet hochkompetitiv – aber eben immer auch über Grenzen hinweg. Außenwissenschaftspolitik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das gemeinsame Arbeiten in internationalen und diversen Teams an globalen Problemen gefördert wird. Dafür müssen wir die multilaterale Weltordnung sowie internationale wissenschaftliche und medizinische Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation stärken (WHO) nicht schwächen.

Wissenschaftliche Forschungsergebnisse dürfen zudem nicht einer kleinen Elite vorbehalten bleiben. Sie müssen der gesamten Menschheit zugute kommen, gerade wenn es um die Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 und von Impfstoffen geht.

Auf der Suche nach dem Covid-19-Impfstoff bleibt Forschung ein Gemeingut 

Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass nur diejenigen behandelt und geimpft werden, die es sich leisten können oder im richtigen Land leben. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit, aber auch der Vernunft. Wenn wir es nicht schaffen, Covid-19 weltweit zu besiegen, wird das Virus auch zu uns zurückkehren.

In einer zunehmend komplexen Welt müssen wir in unseren Gesellschaften Verantwortung als mündige Bürgerinnen und Bürger übernehmen. Wir alle sind aufgefordert, Falschbehauptungen und unwissenschaftlichen Fantastereien entgegenzutreten und gerade in Zeiten von Corona darauf zu pochen, dass gesellschaftliche Meinungsbildungen und politische Entscheidungsprozesse auf einem wissenschaftliche abgesicherten Fundament stattfinden – zu diesem Fundament gehört auch der stets vorhandene Zweifel und der fortlaufende Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft.

Zweifel äußert aber nur, wer sicher sein kann, für seine Meinung nicht verfolgt zu werden. Und das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Weltweit ist die Wissenschaft in zunehmendem Maße Angriffen ausgesetzt.

Zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit 

Die Freiräume der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft werden an vielen Orten auf der Welt kleiner. Wissenschaftliche Ergebnisse werden zensiert oder unterdrückt, kritische Stimmen werden zum Schweigen gebracht. Eine solche Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit kann Leben kosten.

Wissenschaftsdiplomatie muss sich dafür einsetzen, dass die wissenschaftlichen Freiräume erhalten bleiben. Dies kann ihr nur gelingen, wenn sie für Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eintritt.

Deutschland muss gefährdete Forscherinnen und Forscher unterstützen

Deutschland muss dabei vorangehen. Mit der Philipp-Schwartz-Initiative und zahlreichen anderen Programmen ermöglichen das Auswärtige Amt und die uns verbundenen Mittlerorganisationen schon jetzt gefährdeten Forscherinnen und Forschern die Weiterarbeit in einem Drittland. Diese Programme sollten wir noch weiter ausbauen.

Wir alle spüren in diesen Zeiten der Corona-Pandemie: Wir brauchen planetares Denken für die Lösung der großen globalen Probleme. Diesem planetaren Denken in der Forschung und Wissenschaft, im gesellschaftlichen und politischen Diskurs den nötigen Raum zu geben, sich entfalten zu lassen, uns alle miteinander leiten zu lassen – das ist jetzt unsere Aufgabe. Es ist die wesentliche Funktion der Wissenschaftsdiplomatie im 21. Jahrhundert.