Rede zur zweiten Lesung des Haushalts 07.09.2022

Rede zum EP 05, 07.09.2022 auf Youtube

Datenschutz

Sehr geehrte/r PräsidentIn, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Welt ordnet sich neu. Das ist ohne Zweifel auch für uns in Deutschland eine riesige Herausforderung.

Im Ruhrgebiet waren es in diesem Sommer immer wieder die zwei großen Themen, die viele umtreiben. Zum Einen: Der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine. Und: Die Sorge nach den rasant steigenden Energiekosten.

Allerdings, auch wahr: Nicht immer in dieser Reihenfolge. Menschen, die sich sonst nie an die Politik wenden, schreiben uns Briefe.
Rentnerinnen formulieren ihre Angst, die Wohnung zu verlieren. Schreiben akribische jede Ausgabe auf – und fragen, wie sie die Kosten in Zukunft noch stemmen sollen.

Und viele Unternehmen fragen, wie sie zu wettbewerbsfähigen Preisen ihre Waren produzieren sollen, wenn die Energie immer teurer wird.

Deswegen – bevor ich nun zum Haushalt des Auswärtigen Amtes und den außenpolitischen Herausforderungen komme – zunächst einmal ganz herzlich Danke an alle, die helfen, durch diese schwere Zeit zu kommen.

Ob in den Wahlkreisen oder in der Koalition mit den dringend benötigen Entlastungen. Besonders: Bundeskanzler Olaf Scholz, der die unterschiedlichen Herangehensweisen in der Regierung zusammenführt. Und führt. Das brauchen wir. Vor allem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als Außenpolitikerin war ich in dieser Sommerpause nicht auf Dienstreise im Ausland, sondern vor allem in der Nachbarschaft unterwegs – unter anderem zu Besuch bei Evonik, einem der international führenden Unternehmen der Spezialchemie.

Mitten in Herne werden da z.B. Beschichtungen für Windräder hergestellt. Zu oft wird das ja vergessen: Für die Transformation der Wirtschaft, brauchen wir auch eine starke Chemie.
Und: Klimawandel, Energiekrise – alles, was in der Welt passiert, hat eben auch mit uns zu tun, beeinflusst uns in Deutschland.

Deswegen hat auch der Vorstandsvorsitzende von Evonik Christian Kullmann mit weiteren Vertretern großer Unternehmen einen Appell an die Außenministerin geschickt und fordert, insbesondere die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit mehr Geld auszustatten und die geplanten Kürzungen dringend zurückzunehmen.

Denn: Deutschland ist massiv angewiesen auf Fachkräfte – auf gute Ausbildung hier bei uns und auf internationale Fachkräfte!

Wir sind Zusammen Stark: Deswegen brauchen wir
die Goethe-Institute, die Deutsch-Kurse anbieten, wo die Menschen sind,
die Auslandsschulen, die junge Menschen früh an unser Land binden,
den DAAD und die Humboldt-Stiftung, die Forschung unterstützen weltweit auf Spitzenniveau – für Fortschritt, Arbeitsplätze und Verständigung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland muss sich gerade heute im Wandel der Welt um neue Partnerschaften bemühen.

Wir brauchen neben Europa auch Afrika, Asien und Lateinamerika, um den großen Herausforderungen zu begegnen.

Es ist längst nicht gesagt, dass sich ein Großteil der Weltgemeinschaft unseren Vorstellungen und Überzeugungen einfach anschließt.

Es ist an uns, für die Demokratie als Staats- und Lebensform zu wirken. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Menschen, der Zivilgesellschaften.
Zunehmende Ungewissheit als Grundgefühl ist aber weder ein lokales noch regionales Phänomen.
Besonders auch die jungen Generationen auf diesem Planeten erleben die rasanten Veränderungen auf der ganzen Welt mit voller Wucht.

Aus zwei Perspektiven: Die einen wollen ihren Wohlstand nicht verlieren, die anderen wollen überhaupt welchen haben.

Das ist im übertragenen Sinne die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Umso mehr brauchen wir gemeinsame Lösungen. Die Macht verteilt sich neu.

In so einer Situation dürfen wir doch nicht zusehen, wie China immer mehr Konfuzius-Institute eröffnet und als Antwort auch noch deutsche Strukturen zerschlagen – Kultur- Jugend-, und Wissenschaftsaustausch zurückfahren, Sprachkurse und Unterstützung für die Zivilgesellschaft kürzen! Das wäre fatal.

Präsident Putin spricht der ukrainischen Kultur die Existenzberechtigung ab. Die Unesco listet inzwischen 183 kulturelle Stätten in der Ukraine auf, die durch Russland beschädigt oder zerstört wurden. Umso wichtiger, dass wir sie unterstützen.

Das alles ist auch eine Frage der Langfristigkeit – solche Strukturen wirken über Jahre und Jahrzehnte, das lässt sich nicht auf- und aufbauen wie ein Zelt. Kultur ist kein Camping.

All den Mittlerorganisationen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern will ich deswegen von hier aus danken und ganz klar sagen: Gerade eine werteorientierte Außenpolitik wäre doch ohne die, die sie leben und vermitteln, gar nicht möglich!

Das, liebe Annalena Baerbock, muss das Auswärtige Amt aber unter ihrer Führung noch unter Beweis stellen. Dazu möchte ich Sie ausdrücklich ermutigen. Und wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, müsste das die Konsequenz auch sein.

Mit dem jetzigen Haushaltsentwurf ist das jedenfalls nicht zu leisten.

Ich kann nur sagen: Ändern Sie das. Die Fachleute im Bundestag aller demokratischen Parteien stehen dahinter.

Und bitte kümmern Sie sich auch um die Ausstattung der Visastellen. Sonst können wir hier natürlich lange über gute Fachkräfte reden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin überzeugt:

Deutschland wird in diesem globalen Wettbewerb nur mit klarer Ausrichtung an den Zukunftsthemen bestehen können.

Für ein auf kluge globale Verflechtung angewiesenes Land wie Deutschland gibt es wenige Möglichkeiten, Geld besser zu investieren als in globalen wissenschaftlichen und kulturellen Austausch – vom Ruhrgebiet bis in die Vereinten Nationen.

Davon hängt zu einem beträchtlichen Teil die Zukunftsfähigkeit unseres Lebens- und Wohlstandsmodells ab.

Wer hier mutwillig spart, begibt sich auf eine außenpolitische Geisterfahrt, entgegen aller Vernunft!