Zu 75 Jahre European Recovery Program (Marshall Plan) 31.03.2023

Rede zu 75 Jahre European Recovery Program (Marshall Plan), 31.03.2023 auf Youtube

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Sehr geehrte/r Präsident-IN,
meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es gehört: Der Marshall-Plan, der sich nun zum 75. Mal jährt, legte den Grundstein für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg – und für die transatlantische Freundschaft.

Über die Entwicklung dieser Freundschaft will ich sprechen. die mit und lange nach dem Aufbau der Fabriken wuchs, aber lange nicht selbstverständlich ist.

Und vor allem ist sie von Menschen gemacht. Guido Goldmann wurde erwähnt, der Gründer des German Marshall Fund. Sein Vater war schon beim Aufbau des Zionistischen Weltkongress dabei, und Guido war überzeugt, dass echte gegenseitige Sympathie nur auf gegenseitigem Verständnis beruhen kann.

Er überredete erst Alex Möller, den ersten Finanzminister unter Willy Brandt, das Verständnis zwischen Deutschland und den USA zu fördern – und so gründete schließlich der Deutsche Bundeskanzler die transatlantische Organisation der ersten Stunde, die wir auch im Antrag würdigen.

„Die transatlantische Partnerschaft ist unerlässlich, wenn die USA ihre Interessen nicht vernachlässigen möchten und Europa nicht wieder in Krisen, Angst und Verwirrung untergehen will“, sagte Brandt damals.

In der Tat stellte sich heraus, dass Deutschland und die USA zwar nicht immer die gleichen Interessen haben sollten, aber doch fundamentale Überzeugungen teilten.

Teilen, bis heute.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Viele denken an solch einen Tag, in einer solchen Debatte, auch an ganz persönliche Erfahrungen.

Mein erster Besuch in den USA war wahrscheinlich anders, als bei vielen Kollegen hier. Denn der führte mich nicht zu einem Austauschjahr ans College oder zur Forschung an eine Elite-Universität, sondern für drei Wochen mit dem Zelt in die Steppe Nord Dakotas, in eine der ärmsten Regionen der Staaten: In das Pine Ridge Reservation, zu den Lakota-Sioux, den Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner.

Viele Jahre später, schon als Abgeordnete und Außenpolitikerin, traf ich in Detroit streikende Arbeiter von General Motors, in Baltimore AktivistInnen von Black Lives Matter und in Texas Nachfahren der ersten deutschen Auswanderer und Farmer, die Solartechnik im Kollektiv nutzen und Deutschland übrigens außerordentlich dankbar waren, für die frühe Förderung dieser Technik.

Ich erzähle das hier, weil ich überzeugt bin: Guido Goldmann hatte recht. Es lohnt, voneinander zu lernen. Denn: Unsere Länder sind nicht perfekt. Es sind aber doch unsere Demokratien, die alle Chancen haben, die es zu schützen und weiterzuentwickeln gilt.

Starke Zivilgesellschaften, robuste Medien, der Schutz von Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft und starke Oppositionen sind der Schlüssel dazu.

Das ist ja das eigentliche Geschenk, das Erbe, des Marshall Plans: das Erwachsen der freiheitlichen Demokratie, die in ihrem Kern die Chance besitzt, sich zu verändern, zu erneuern und zu verteidigen. Das zu beweisen, ist neben der Bündnistreue die Aufgabe dieser besonderen Freundschaft, zwischen Europa und den USA.

Wir brauchen also diesen Dialog, den wir auch mit Mitteln der AKBP fördern: Das Deutschlandjahr “Wunderbar Together” war die größte Kommunikationskampagne in der Geschichte des Auswärtigen Amtes, die auch Dank des Goethe Instituts alle Bundesstaaten erreicht hat. Davon brauchen wir mehr.

Meine Damen und Herren:

Die Welt ist im Schleudergang und wir werden in den kommenden Jahren mehr tun müssen, nicht nur, um das Verständnis füreinander nicht zu verlieren, sondern um ein gemeinsames zu schaffen.

In Zukunft werden uns etwa die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, Entscheidungen abverlangen, nicht nur darüber, wie wir bei den Entwicklungen an der Spitze bleiben, sondern beizeiten auch dazu, der Nutzung ihren ethischen Rahmen zu setzen. Und: das müssen Entwicklungen sein, die die Ungleichheit auf der Welt verringern, nicht weiter verschärfen!

Darüber müssen wir uns verständigen. Vor einigen Jahren haben wir als Bundesrepublik das ehemalige Haus von Thomas Mann in Los Angeles angekauft: Von dort rief er in 50 BBC-Interviews zum Widerstand gegen Hitler auf. Heute ist sein Haus dank des Bundestages ein Raum für Austausch und kritisches Denken, für kluge Frauen und Männer.

Gut so. Denn Manns Worte könnten kaum aktueller sein. Er schrieb – und damit schließe ich:

»Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden. Es ist die Stunde gekommen […] für eine Selbstbesinnung der Demokratie, für ihre Wiedererinnerung, Wiedererörterung und Bewußtmachung – mit einem Wort: für ihre Erneuerung im Gedanken und im Gefühl.«

Herzlichen Dank!